Die Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz oder der Attitude Behaviour Gap
Begriffsdefinition und Einordnung
Der Unterschied zwischen grundsätzlicher Einstellung und tatsächlichem Verhalten beschreiben Verhaltensökonomen als «Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz» oder eben «Attitude Behaviour Gap». Damit einher geht das Zitat von Stefan Baumann, dem Gründer und Inhaber der Agentur «Sturm und Drang»:
«Der Mensch denkt nicht, was er fühlt, er sagt nicht, was er denkt und er macht nicht das, was er sagt.»
Es ist Anfang Februar. Da liegen sie verführerisch, in leuchtendem rot vor einem im Regal, die Erdbeeren, und ziehen die Blicke auf sich. Die ersten Boten des Frühlings. Daneben ein Preisschild: Nur 3.90.—CHF für 500 Gramm. Deutlich kleiner darunter steht, woher sie kommen, aus Südamerika, mit dem Flugzeug eingeflogen. Und sie sehen lecker aus. Und nun, was tun? Nachhaltigkeit ist vielen Menschen ein Anliegen. Sie tun dies auch kund, sprechen darüber. Doch bei attraktiven Preisen oder Sonderangeboten vergessen wir oft unsere guten Vorsätze. Der Vernunftsschalter wird kurzzeitig auf «Aus» gekippt. Der Emotionsschalter hingegen auf «Ein». Und schon sind die Erdbeeren im Einkaufswagen, auf dem Weg zur Kasse. Verhalten und Einstellung sind nicht mehr im Gleichgewicht. Und dass das Ganze nicht ganz so schlimm ist, beschwichtigen wir Konsumenten gerne. Im Sinne von «Nur dieses eine mal, ist ja nur eine Ausnahme».
Der Effekt der sozialen Erwünschtheit
Eng verknüpft mit der Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz ist der Effekt der sozialen Erwünschtheit. Darunter versteht man die Tendenz, sich nach aussen so zu verhalten, dass man glaubt, dass einen das Umfeld als vorteilhaft wahrnehmen wird. Der Effekt der sozialen Erwünschtheit beeinflusst uns in fast allen Lebensbereichen. Wir alle wollen von anderen gemocht werden (d.h. sozial erwünscht sein). Es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass jemand, der nach Alkoholkonsum Auto gefahren ist, dies zugeben würde. Fahren unter Alkoholeinfluss ist kein sozial erwünschtes Verhalten. Also ist es besser, dies nicht zuzugeben.
Soziale Erwünschtheit kann auch internalisiert werden. Wir können den einen oder anderen Fall, in dem wir uns unerwünscht verhalten haben, abtun und sie als seltene Ereignisse betrachten, die nicht unsere Persönlichkeit widerspiegeln.
Die Voreingenommenheit für soziale Erwünschtheit variiert naturgemäss zwischen verschiedenen Kulturen und sozialen Kreisen. Das liegt daran, dass er aus den Normen entsteht, die uns beigebracht werden, von denen wir umgeben sind und die wir verinnerlichen. Daraus entstehen dann unsere Einstellungen. Diese wiederum prägen letzten Endes unser Verhalten. Zum Beispiel können Menschen aus Ländern, in denen das Individuum dominiert, ihre Unabhängigkeit, ihr Selbstvertrauen und ihr Durchsetzungsvermögen überbewerten. Menschen aus Ländern, in denen das Kollektiv dominiert, hingegen neigen eher dazu, diese Attribute zu untertreiben.
Der Effekt der sozialen Erwünschtheit – zwei aktuelle Beispiele
Der Effekt der sozialen Erwünschtheit ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Allerdings hat seine Präsenz in der Gesellschaft deutlich zugenommen. Und in der Welt des Marketings und Brandings ebenso. Dazu zwei Beispiele:
Das Jahr 2020 war geprägt durch florierende Fehlinformationen wie z.B. 5G-Antennen, Donald Trump oder Corona-Leugner. Was haben diese Themen gemeinsam? Sie sind Beispiele für den exponentiellen Anstieg von Fehlinformationen. Dabei war die Technologie ein grosser Beschleuniger. Sie gab den Menschen die Möglichkeit, ihre Meinung sofort einem globalen Publikum mitzuteilen. Sie erhöhte die Geschwindigkeit, mit der diese Meinungen verbreitet und als Fakten interpretiert wurden. Und ihr fehlte eine übergeordnete Instanz, um diese Fehlinformationen zu überprüfen oder zu kontern.
Die sogenannte «Echokammer»: Mehr denn je haben wir nur noch mit Menschen zu tun, die wie wir denken und sich verhalten. Wir verbringen immer mehr Zeit online. Das bedeutet, dass wir wählerisch sein können, mit wem wir sprechen. Wir ziehen es vor, uns mit denen zu unterhalten, deren Meinungen mit unseren übereinstimmen. Zeiten, in denen wir uns mit Menschen anderer Meinungen austauschen, sind seltener geworden. Folglich wird die soziale Erwünschtheit verstärkt, da wir danach streben, unsere Überzeugungen zu beschwichtigen, zu bestätigen und zu untermauern und bewusst oder unbewusst unseres Gleichen suchen.
Ausblick
Im zweiten Teil meines Artikels werde ich in Kürze anhand des Beispiels von Zalando aufzeigen, was Zalando bei seinen Kunden zum Thema Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz und Nachhaltigkeit empirisch herausgefunden hat. Und wie Zalando gedenkt, dieses Thema ernsthaft anzugehen. Es bleibt spannend, denn der Beitrag von Zalando hat mich persönlich überrascht, im Positiven…