Die Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz – dargestellt am Beispiel der Modebranche

Zalando hat im April 2021 einen Report veröffentlicht mit dem Titel «It takes two» – Wie Industrie und KonsumentInnen gemeinsam den «Attitude-Behavior-Gap» für nachhaltige Mode schliessen können. Hier möchte ich auf ein paar erwähnenswerte Aspekte eingehen, im Kontext des Verhaltens von KonsumentInnen beim Kauf von Bekleidung.

Dem Report von Zalando liegt fundierte, qualitative und quantitative Marktforschung zugrunde, welche in Nord- und Südeuropa durchgeführt wurde. Dabei wurden ethnografische Tiefeninterviews und eine Online-Umfrage durchgeführt. Die hier präsentierten Ergebnisse spiegeln daher die europäische Sicht der Dinge.

Definition von Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiges Handeln bedeutet, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse so befriedigen, dass auch nachfolgende Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Das bedeutet aber auch das Wiederherstellen der durch den Menschen geschädigte Ökosysteme.

Kern-Erkenntisse aus dem Report

1. Jede/r zweite Modekonsument/in ist sich nicht sicher, was Nachhaltigkeit im Kontext von Mode bedeutet.
Am häufigsten wurde Nachhaltigkeit in diesem Kontext emotional mit Schuldgefühlen assoziiert. Eine Belastung, welche die KonsumentInnen überfordert. Dabei soll das Einkaufen und das Tragen von Mode doch eigentlich Spass machen. Und für viele hat Mode einen besonders hohen Stellenwert im Leben, beeinflusst die Kleidung doch das Selbstbewusstsein stark. Auch mit ein Grund, warum 44% der Befragten ihre Meinung dahingehend äusserten, dass nachhaltiges Verhalten in anderen Lebensbereichen weniger nachhaltige Kaufentscheidungen bei Mode kompensiert.

2. Nachhaltigkeit als Kaufmotivator bei den KonsumentInnen noch weit hinten zu finden.
Die Studie untersuchte unter anderem neun Motivatoren beim Kauf von Mode. Dabei zeigte sich, dass Nachhaltigkeit bei der Kaufentscheidung weit hinten rangiert nach Faktoren wie Preis-Leistungs-Verhältnis, Qualität, Passform oder die Vielfalt im Kleiderschrank sichern.

3. Die erfolgreiche Jagd auf (vermeintliche) Rabatte befriedigt nur kurz
Die Jagd auf (vermeintliche) Rabatte, kann zu übermässigem Konsum führen, den KonsumentInnen später bereuen. Ist der Nervenkitzel erst einmal verflogen und hat die erste Begeisterung über den Kauf nachgelassen, so geben 82% der Befragten an, dass sie ihren Kauf in irgendeiner Art bereuen.

4. Die Glaubwürdigkeit von InfluencerInnen ist eher tief
InfluencerInnen
besitzen wenig Glaubwürdigkeit wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Hier wird viel mehr der Familie und Freunden vertraut.

5. Das Wegwerfen von Kleidung, die Idee des Secondhand sowie richtige Pflege und Reparatur von Kleidung sind relevant für die KonsumentInnen
Wenn es um das Wegwerfen von Kleidung geht, ist es für die KonsumentInnen schwierig, gemäss ihren Wertvorstellungen zu handeln. Insgesamt wird pro Jahr Mode im Wert von 460 Milliarden US-Dollar weggeworfen. Ein Kleidungsstück wird in der Regel nach 7-10 mal tragen wieder aussortiert. So glauben 51% der Befragten, dass es ihnen helfen würde, sich nachhaltiger zu verhalten, wenn Hersteller Kleidung in Zahlung nehmen würden. Secondhand gewinnt an Momentum, wird aber noch nicht ausreichend geschätzt. Nur lediglich 25% der Befragten kaufen tatsächlich regelmässig Secondhand-Bekleidung. Hygiene und das Fehlen von bequemen Einkaufsmöglichkeiten werden als häufigste Gründe der Nicht-Nutzung genannt. KonsumentInnen möchten ihre Kleidungsstücke zwar länger tragen, wissen jedoch oft nicht genau, wie man sie richtig pflegt und repariert. Jeder zweite Befragte glaubt, dass ein entsprechendes Reparatur-Angebot durch Marken und Einzelhandel hier nachhaltiges Handeln positiv beeinflussen könnte.

6.) Der Attitude-Behavior-Gap für 12 Faktoren reicht von 8% bis 40%
Die spezifische Untersuchung zum «Attitude-Behavior-Gap» – also der Tatsache, dass Menschen eine positive Einstellung zu einer Sache haben, diese Einstellung jedoch nicht durch verantwortungsvolles Verhalten in die Tat umsetzen – fokussierte auf 12 Dimensionen, siehe nachfolgende Abbildung. Dabei traten insbesondere folgende Diskrepanzen auf:

– 59% der befragten KonsumentInnen möchten das Produkt und die verwendeten Materialien verstehen (Attitude). Aber nur 38% sehen sich diesbezüglich häufig die Etiketten der Artikel an (Behavior).

– 53% der befragten KonsumentInnen finden es wichtig, Marken mit hohen ethischen Standards zu kaufen (Attitude). Lediglich 23% haben sich selbst schon einmal über diese Standards informiert (Behavior).

– Rund 60% der befragten KonsumentInnen finden die Themen Reparatur, Secondhand und Entsorgung von Kleidung wichtig (Attitude). Im täglichen Leben folgen aber nur zwischen 23% und 25% der Befragten diesen Themen mit Taten (Behavior).

 Und nun, was tun? – Was die Industrie hier leisten kann

1. Begriffsklärung, Transparenz, Sprache und Worten Taten folgen lassen
Zunächst einmal braucht es eine Begriffsklärung was Nachhaltigkeit im Modekontext bedeutet und Transparenz, was ein Unternehmen hier genau macht. Dies kann zum Beispiel dadurch erfolgen, indem Informationen über die Lieferkette mit KundInnen geteilt werden. Auch das Veröffentlichen von Fortschrittsberichten fällt hier darunter. Fortschritte sollen dabei nicht überbewertet werden, es geht viel mehr um Bescheidenheit und Authentizität. Der Kunde muss nachvollziehen können, was das jeweilige Unternehmen auch tatsächlich und glaubhaft macht. Ferner muss die Sprache, wie über Nachhaltigkeit gesprochen wird, leicht verständlich, nachvollziehbar und glaubwürdig sein. Wenn über die Fortschritte positiv gesprochen wird, wenn Taten kontinuierlich weiter ausgebaut werden und die Informationen glaubwürdig und nachvollziehbar sind, dann sind hier gute Voraussetzungen geschaffen, um die Nachhaltigkeit aus der Schuld-Ecke heraus zu manövrieren.

2. Das Potential von Machine Learning und KI richtig nutzen
Daten und Technologien
bieten viele Möglichkeiten, um nicht nachhaltige Rabatte zu vermeiden. Darunter fallen eine bessere Einkaufs- und Verkaufsplanung oder schlankere Betriebsabläufe, erzielt durch den Einsatz von Machine Learning oder KI. Ebenso lassen sich dadurch Prognosen verbessern bzw. neue Geschäftsmodelle entwickeln wie z.B. On-Demand-Produktionskapazitäten.

3. Die relevanten Kaufmotivatoren stärker betonen
Der Verkauf nachhaltiger Mode lässt sich steigern, indem die KundInnen über die Faktoren Qualität, Passform und Langlebigkeit motiviert und davon überzeugt werden. Denn dies sind Kaufmotivatoren, welche für die KundInnen sehr wichtig sind, neben dem Preisleistungsverhältnis. Eine Idee wäre eine zusätzliche Kennzeichnung wie z.B. «Kosten für jedes Tragen».

4. Die Stimme der Nachhaltigkeit den KundInnen / MitarbeiterInnen geben
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den KundInnen und MitarbeiterInnen eine Stimme in punkto Nachhaltigkeit zu geben, da die InfluencerInnen hier wenig Glaubwürdigkeit besitzen. So lassen sich zum Beispiel authentische Beispiele aus Kunden- oder Mitarbeitersicht zeigen, wie nachhaltigeres Leben und Konsum tagtäglich umgesetzt werden. Und es bedeutet auch, die InfluencerInnen für andere Themen einzusetzen, wo deren Glaubwürdigkeit höher ist, wie z.B. Styling- oder Mode-Tipps allgemein.

5. Sicherstellen der Kreislaufwirtschaft entlang des gesamten Lebenszyklus
Die Kreislaufwirtschaft ist auch eine gute Möglichkeit entlang des gesamten Produktlebenszyklus. Darunter fallen Massnahmen wie z.B. die Handhabung von Überbeständen, das testen neuer Geschäftsmodelle wie Resale, Verleih oder Rückkaufprogramme. Auch die Gestaltung von Secondhand-Programmen in Geschäften und online, denn Secondhand muss nicht zwangsläufig schlechter sein als neue Mode.

Und nun, was tun? – Was die KonsumentInnen hier leisten können.

Aber auch die KonsumentInnen müssen hier mitmachen, denn sonst funktioniert das Ganze nicht. Einige Anregungen in diese Richtung:

1. Wenn man durch (Mega)Rabatte zum Kauf animiert wird, sich ganz bewusst die Frage zu stellen: «Kann ich mir vorstellen, dieses Kleidungsstück im nächsten Jahr 30 mal zu tragen»?

2. Das Erstellen einer Wunschliste, was denn tatsächlich im Kleiderschrank fehlt und was man denn wirklich auch braucht. Mit dieser Liste dann auch diszipliniert einkaufen gehen.

3. Nur dann Kleider kaufen gehen, wenn man sich davor bewusst von anderen Kleidern trennen kann, die im Schrank liegen. Ersetzt wird nur das, was man zuvor aussortiert hat.

4. An Diskussionen teilnehmen und anderen KonsumentInnen aktiv erzählen und zeigen, was man selbst tut, um sich nachhaltiger zu verhalten. Dies inspiriert wiederum andere, diesem Beispiel zu folgen.

5. Alte Kleider, die noch ganz sind, nicht im Abfall entsorgen, sondern dafür sorgen, dass diese weiterhin gebraucht werden z.B. durch Secondhand, weitergeben im Freundes-/Familienkreis oder Altkleidercontainer.

6. Eine Liste erstellen (nicht zwingenderweise nur für Bekleidung) mit dem Titel „Welchen Versuchungen ich NICHT erlegen bin“ und im Freundeskreis andere zum mitmachen animieren. Sie werden erstaunt sein, was dabei rauskommt…

Hersteller, Händler, Marketeer und KonsumentInnen müssen gemeinsam anpacken, wenn Nachhaltigkeit erfolgreich gelingen soll

Der Zalando Report heisst «It takes two». Diese «two» sind Industrie und KonsumentInnen. Es erscheint mir in diesem Zusammenhang erwähnenswert, noch einmal den Fokus auf Marketeers und die Industrie zu richten. Das Stichwort lautet «Fast Fashion». Fast Fashion bedeutet vereinfacht gesagt: Mehr Kollektionen in kürzerer Zeit. Neue Kollektionen und Trends prominenter Designer und Stars werden in kürzester Zeit imitiert und in geringerer Qualität und einem günstigeren Preis von den großen Modeketten angeboten. Zara bringt zum Beispiel 24 neue Kollektionen pro Jahr in die Läden, H&M zwischen 12 und 16. Auch hier braucht es eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung. Denn diese Marketing- und Verkaufspraxis steht diametral entgegengesetzt zu dem, was die Nachhaltigkeit einfordert und befeuert geradezu den gedanken- und verantwortungslosen Konsum.

Nur wenn alle mitmachen und nicht versuchen, die Verantwortung abzuschieben oder sich mit der Ausrede trösten, dass man doch zu klein sei, etwas zu bewirken. Nur dann kann Nachhaltigkeit funktionieren.

Denken Sie daran, wenn das nächste mal die (Mode)Versuchung wieder an die Tür klopft…  

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